Was im Kopf eines Teenagers vor sich geht

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Loszulassen, damit Jugendliche ihren eigenen Weg gehen können, fällt Eltern nicht immer leicht. Noch schwerer ist es, wenn der eigene Sohn oder die eigene Tochter einen angeborenen Herzfehler hat. Denn dann geht es nicht nur darum, einen Teenager eigene Erfahrungen machen zu lassen, sondern ihm auch eine große Verantwortung zu übertragen: die Verantwortung für die eigene Gesundheit.

Verantwortung übernehmen

Wenn es um den Übergang ins Erwachsenenalter geht, müssen Eltern herzkranker Kinder lernen, loszulassen – und ihren Kinder zuzutrauen, die Verantwortung für ihre Gesundheit selbst zu übernehmen. Dazu können auch die behandelnden Ärzte aktiv beitragen. Aus diesem Grund ist es empfehlenswert, bei allen Arztterminen das Kind aktiv in das Gespräch mit einzubeziehen – spätestens ab Beginn der Pubertät. So bekommen Jugendliche frühzeitig einen Einblick in die Aspekte ihres Herzfehlers, für die ihre Eltern Sorge tragen – und erhalten zudem die Gelegenheit, selbst Fragen zu stellen und so Verantwortung zu übernehmen.

Für viele Eltern ist diese Übergangsphase besorgniserregend oder frustrierend. Am liebsten wollen sie als Vater oder Mutter weiterhin genau wissen, was ihr Kind gerade macht. Hinzu kommen Zweifel, ob Jugendliche mit soviel Verantwortung überhaupt fertig werden. Es besteht jedoch kein Grund zur Panik. Die meisten Jugendlichen sind durchaus in der Lage, Verantwortung zu übernehmen. Aber ohne die Unterstützung der Eltern geht es nicht. Nur mit ihrer Hilfe kann ein Kind lernen, sich eigenverantwortlich um seine Gesundheit zu kümmern. Um diese Aufgabe zu meistern, gibt es verschiedene Methoden. Dabei sollte man allerdings nie vergessen, dass Jugendliche anders ticken als Erwachsene. Denn in der Pubertät ist unser Gehirn noch nicht vollkommen entwickelt. Bis zu einem gewissen Grad sind Unaufmerksamkeit und Vergesslichkeit daher völlig normal. Darüber hinaus besteht in dieser Übergangszeit ein starker Wunsch nach mehr Privatsphäre. Um ein vertrauensvolles Verhältnis aufrecht zu erhalten, sollten Eltern diesen Wunsch respektieren.

Fühlen und verstehen lernen

Jugendliche erleben nicht nur verstärkt emotionale Höhen und Tiefen sowie massive Hormonschübe. Auch ihr Gehirn unterscheidet sich von dem eines Erwachsenen. Dies belegen Untersuchungen der Gehirnstrukturen mit der Magnetresonanztomographie (MRT). In unserem Gehirn gibt es den so genannten Mandelkern (Amygdala). Er gehört zum limbischen System – unserem Belohnungs- und Gefühlszentrum. Hier werden starke emotionale Erinnerungen gespeichert.

Nimmt der Mandelkern etwas als Bedrohung wahr, kann er die Kontrolle über unsere Denkfähigkeit übernehmen. Wir erhalten dann zum Beispiel das Signal „Vorbereiten zur Flucht“. Wenn wir etwas als bedrohlich empfinden, zum Beispiel eine Spinne, wird ein Signal über das Nervensystem an den Mandelkern geschickt. Gleichzeitig geht ein schnelleres Signal direkt an den Mandelkern. Dieses direkte Signal weckt in uns den starken Wunsch, vor der Spinne zu flüchten. Das langsamere Signal kann hingegen analysiert werden. Und wir kommen zu dem Schluss, dass eine kleine Spinne uns kaum umbringen wird. Der Mandelkern ist ein Teil des Gehirns, der durch Üben und Handeln dazu lernt. Gefühle und Verhalten sind demnach Übungssache.

Der Frontallappen ist der Denkbereich unseres Gehirns. Dieser Teil lernt durch Verstehen. Hiermit begreifen wir zum Beispiel das archimedische Prinzip: Wenn Sie in die Badewanne steigen, wird soviel Wasser verdrängt, wie Ihr Körper Masse besitzt. Das ist etwas, das wir wissen und gelernt haben, auch wenn wir es nicht unbedingt wissenschaftlich erklären können. Der Frontallappen gehört zur Hirnrinde (Kortex). Er analysiert und kontrolliert, wie wir Probleme und Konflikte lösen und auch, was unser Körper empfindet. Auch was wir hören und sehen wird hier gefiltert.

Das jugendliche Gehirn

Unser Gehirn entwickelt sich bis zum Alter von 25 bis 30 Jahren. Dann gilt es als ausgereift. In dieser Zeit bildet sich der Frontallappen vollständig aus und damit unsere Fähigkeit zu analysieren und Konsequenzen abzuschätzen. Der präfrontale Kortex erreicht zuletzt seine volle Entwicklung. Er ist verantwortlich für Fähigkeiten wie Organisieren, Prioritäten setzen oder unsere Impulskontrolle. Die Fähigkeit, die Folgen einer Handlung abzuschätzen, ist bei Jugendlichen daher noch nicht vollentwickelt. Die Hirnrinde entwickelt sich ebenfalls langsam, während der Mandelkern bereits früher ausgebildet ist. Es ist daher nicht ungewöhnlich, wenn Jugendliche eher emotional als rational reagieren.

MRT-Aufnahmen haben auch gezeigt, dass Jugendliche die Gefühle von anderen über den Mandelkern interpretieren, also schnell und emotional. Erwachsene interpretieren dagegen solche Gefühle mit dem Frontallappen, sprich analytisch. Empfindet ein Erwachsener zum Beispiel sein Gegenüber als unglücklich, hält ein Jugendlicher die gleiche Person vielleicht für verärgert. Insofern kann man das Gehirn eines Jugendlichen mit einem Auto vergleichen, das zwar einen starken Motor hat, aber nur schwache Bremsen und eine schwergängige Schaltung.

Durch ständiges Üben verbessert sich im Laufe unseres Lebens die Kommunikation zwischen den unterschiedlichen Bereichen unseres Gehirns. Besonders intensiv entwickelt sich diese Kommunikation in der Pubertät. Dann werden im Gehirn gleichsam neue Trampelpfade angelegt, die – je häufiger wir sie benutzen – zu festen Straßen werden. Wenn ein Jugendlicher vollkommen überzogen, emotional oder sogar aggressiv reagiert, bedeutet das also nicht zwangsläufig, dass er so handeln will, sondern, dass er vielleicht gerade gar nicht anders handeln kann. Umso wichtiger ist es, als Erwachsener für die eigene Tochter oder den eigenen Sohn da zu sein und zuhören zu können. Dadurch kann man dazu beitragen, dass sich vor allem positive Eigenschaften besser entwickeln.

Miteinander reden

Da Jugendliche anders denken und fühlen als Erwachsene, stellen sich folgende Fragen: Wie kann man einem pubertierenden Jugendlichen Verantwortung übergeben, ohne Angst haben zu müssen, von nun an vollkommen außen vor zu bleiben? Und wie ist es möglich, Wege in die Selbstständigkeit aufzuzeigen und das Vertrauen zu erhalten, ohne die empfindliche Privatsphäre zu verletzen? Auch wenn die meisten Jugendlichen auf Abgrenzung bedacht sind, ist hier das konstruktive Gespräch nach wie vor ein guter Ansatz.

Nehmen wir einmal an, Sie lassen Ihren Sohn allein zum Arzt gehen. Der verpasst aber den Termin, weil er mit Freunden Fußball gespielt hat. Wie sprechen Sie mit ihm darüber?

Weil sein präfrontaler Kortex und sein Frontallappen noch nicht vollentwickelt sind, wird Ihr Sohn emotional reagieren, also mit dem Mandelkern. Vielleicht wird er wütend, wenn Sie eine Frage nicht richtig stellen oder ihn auf eine falsche Weise konfrontieren. Daher sollte man das Gespräch nur dann führen, wenn man selbst nicht wütend ist. Auch sollte man stets im Hinterkopf behalten, was die Unterhaltung bringen soll bzw. welches Ziel man damit verfolgt. Jetzt ist es an der Zeit, dem eigenen Kind dabei zu helfen, neue Gewohnheiten zu entwickeln – oder anders ausgedrückt: neue Pfade in seinem Gehirn anzulegen.

In diesem konkreten Beispiel könnte das bedeuten, gemeinsam eine Lösung zu finden, wie man eine Wiederholung der Situation vermeiden kann. So ließe sich beispielsweise vereinbaren, dass sich der Junge in Zukunft von seinem Handy an solche Termine erinnern lässt. Wenn auch nicht jedes Handy über einen Terminkalender mit Erinnerungsfunktion verfügt, so bieten fast alle eine Alarmfunktion, die für diesen Zweck vollkommen ausreichen dürfte.

Praktische Tipps

  • Ruhe bewahren! Wenn beide Seiten nicht gleich emotional reagieren, können Sie Konflikten leichter aus dem Weg gehen.
  • Sagen Sie klar und deutlich, was Sie erwarten.
  • Nicht auf Fehlern herumreiten! Wenn Sie sich lediglich darauf einschießen, was Ihr Kind alles falsch gemacht hat, statt aufzuzeigen, was zukünftig anders laufen könnte, drängen Sie es in die Defensive.
  • Geduld! Geduld! Geduld!
  • Verbringen Sie mehr Zeit zusammen. So schaffen Sie Gelegenheiten, um auch über heikle Themen sprechen zu können.
  • Achten Sie auf Ihren Körper: Was passiert, wenn Sie wütend werden? Knirschen sie mit den Zähnen? Oder ballen Sie Ihre Fäuste? Wer die körperlichen Anzeichen eigener Wut erkennen kann, dem fällt es leichter, sich rechtzeitig wieder zu beruhigen.
  • Sprechen Sie in der Ich-Form. Sagen Sie Ihrem Kind deutlich, wie es Ihnen in der jeweiligen Situation geht, zum Beispiel: „Ich finde, dass …“. Mit der Ich-Form vermeiden Sie Schuldzuweisungen und sagen dennoch, was Ihnen missfällt.
  • Für ein gutes Gespräch sollten Sie Zeit und Ort bestimmen.
  • Hören Sie zu, was Ihr Kind zu sagen hat – und respektieren Sie seine Gefühle. Wer sich beispielsweise über erste Schwärmereien für Boygroups lustig macht, darf sich nicht wundern, wenn er nicht zur bevorzugten Anlaufstelle für erste Liebesprobleme wird.
  • Vergessen Sie nicht Ihrem Kind zu sagen, dass Sie es lieben.

Wenn es Ihnen schwer fällt, Ihrem Kind mehr Verantwortung zu übertragen, helfen oft auch Gespräche mit Fachleuten – zum Beispiel mit einem Sozialarbeiter oder Ihrem Arzt. Neben professionellem Rat können diese durch eine neutralere Sicht von außen vielfach zu völlig neuen Perspektiven verhelfen. Manchmal hilft es aber auch schon, sich an die eigene Pubertät zu erinnern, um zu merken, dass in dieser Zeit Extreme vielfach die Norm sind.

Quellen

Klingberg Torkel, Den översvämmande hjärnan [The Overflowing Brain], Natur och Kultur 2007

Kimber Birgitta and Molgaard Virginia, Älskade förbannade tonåring [Beloved confounded teenager], Natur och kultur 2009

Interview mit Åke Pålshammar Åke, senior lecturer in psychology,  Uppsala University, Interview 19/02/2009

The Swedish national encyclopaedia www.ne.se zugegriffen am: 15. Mai 2009

Letzte Aktualisierung: 2010-04-05