Herzklappenfehler in drei Generationen

Ann-Tove (© Marit Haugdahl)

Ann-Tove Amundsen hat eine angeborene Aorteninsuffizienz – und ist trotzdem mehrfache Mutter. Obwohl sie nicht nur einen Sohn, sondern auch ihre Mutter aufgrund eines Herzleidens verloren hat, lässt sie sich von ihrem eigenen Herzfehler nicht aus der Ruhe bringen. Ann-Tove lebt mit ihrem Ehemann Roy, den Söhnen Trym und Casper und ihrer Tochter Linnea in der ländlich-idyllischen Umgebung von Nord-Odal in der norwegischen Provinz Hedmark. Dies ist Ihre Geschichte.

„In meiner Kindheit schien mir ein Herzfehler nichts Außergewöhnliches zu sein: Meine Mutter hatte einen und der Sohn unseres Nachbarn auch. Erst als er im Alter von fünf Jahren kollabierte und starb, wurde mir klar, dass ein Herzfehler wohl doch etwas Ungewöhnliches ist. Da war ich gerade mal sechs. Und sowas vergisst man dann natürlich nie.“

Anne-Karin

Ann-Toves Mutter, Anne-Karin, starb im Alter von nur 39 Jahren – und nur drei Wochen bevor ihr erstes Enkelkind Trym geboren wurde. „Mama war sehr aktiv und wollte immer beweisen, dass sie die Dinge im Griff hatte. Wir hatten aber schon länger bemerkt, dass sie krank war. Gegen Ende konnte sie nicht einmal mehr Geschirr spülen, ohne eine Pause einzulegen. Da gestand sie sich und uns zum ersten Mal ihre Erschöpfung ein“, sagt Ann-Tove. Anne-Karins Aortenklappe war verengt, was auch die Hauptschlagader in Mitleidenschaft zog. Ein Klappenersatz war unumgänglich. „Eine erste Operation verlief nicht planmäßig und so musste sie sich einem zweiten Eingriff unterziehen. Den hat ihr Körper aber nicht verkraftet: Sie starb an den Komplikationen der zweiten OP.“ So kam es, dass Ann-Tove – nur wenige Tage vor dem Geburtstermin ihres ersten Kindes – noch eine Reise über 1.500 km antrat: zum Begräbnis ihrer Mutter.

Eskil

Ann-Toves zweiter Sohn Eskil starb im Alter von nur sechs Monaten. Ein Herzgeräusch hatte sich als Aortenklappenstenose herausgestellt. Ein bereits geplanter Ballon-Kathetereingriff im Alter von drei Monaten wurde jedoch wieder abgesagt, da die Ärzte der Meinung waren, die Klappe sei doch nicht so stark verengt, wie zuvor befürchtet. „Man wollte zunächst abwarten. Wir hielten das für ein gutes Zeichen und fuhren erleichtert in den zuvor geplanten Urlaub. Aber dann wurde Eskil kurzatmig und konnte keinen Harn mehr lassen. Er litt unter totalem Herzversagen und seine linke Herzkammer hatte sich enorm vergrößert“, erzählt Ann-Tove.

So kam es, dass der kleine Junge schließlich im Alter von fünf Monaten im Ullevål-Universitätsklinikum in Oslo operiert wurde. Aber noch bevor er dafür an die Herz-Lungen-Maschine angeschlossen werden konnte, setzte sein Herz erneut aus. Und es blieb noch einmal stehen, als die Maschine wieder abgeschaltet werden sollte. Daraufhin erhielt er vorübergehend ein künstliches Herz. „Es war unglaublich, dass Eskil diese ganzen Strapazen überhaupt überlebt hat. Und sein Zustand besserte sich sogar! Nach fünfeinhalb Wochen durften wir nach Hause. Die ganze Anspannung ließ nach und wir dachten, das Schlimmste wäre überstanden. Aber nach ein paar Tagen begann er, sich ständig zu übergeben. Er wurde bleich und hatte Atemprobleme. Später erfuhren wir, dass Eskil nicht mehr zu retten war. Die Autopsie ergab, dass im Inneren seines Herzens das Gewebe bereits komplett abgestorben war.“

Das Leben danach

Ann-Tove mit Ehemann Roy und den Söhnen Trym und Casper (© Marit Haugdahl)

„Als Eskil starb, versprachen mir die Ärzte in der Uniklinik jede erdenkliche Unterstützung. Wenn ich erneut schwanger werden wolle, könne ich zu ihnen kommen und würde dort gut betreut werden. Diese Gewissheit, bei einer weiteren Schwangerschaft auch über die Geburt hinaus medizinisch versorgt werden zu können, war letztendlich Ausschlag gebend für unsere Entscheidung, doch noch weitere Kinder zu bekommen,” sagt Ann-Tove bestimmt.

„Als dann unser dritter Sohn Caspar geboren wurde, haben wir ihn natürlich ständig mit Eskil verglichen. Der Tag an dem Caspar so alt wurde wie Eskil gewesen war, als er starb, war besonders hart für uns. Aber am Tag danach fühlten wir uns großartig.“ Ann-Toves viertes Kind – ihre erste Tochter – wurde im Winter 2008 geboren. Mutter und Kind waren wohlauf, wenngleich Ann-Tove auf Grund ihrer Erschöpfung und Herzrasens zunächst unter ärztliche Beobachtung gestellt wurde.

Vererbter Herzfehler?

„Spätestens als Teenager habe ich mich oft gefragt, ob ich meinen Klappendefekt nicht doch direkt von meiner Mutter geerbt habe. Als ich dann schwanger werden wollte, habe ich extra noch mal nachgefragt, aber die Ärzte versicherten mir damals, dass wir nur zufällig beide einen Klappendefekt hätten. Und als dann Trym völlig gesund geboren wurde, vergaß ich alle meine Bedenken. Während meiner Schwangerschaft mit Eskil, dachte ich nicht einmal mehr darüber nach“, gesteht Ann-Tove.

“Heute bin nicht mehr so naiv zu glauben, dass mich das alles nichts angeht“, sagt Ann-Tove. „Durch mein Engagement bei der norwegischen Patientenorganisation FFHB kenne ich mehrere Familien, in denen sogar zwei Kinder einen Herzfehler haben.“ So wird denn auch die schöne Vorstellung, eines Tages trotz ihres Herzfehlers Großmutter zu werden für Ann-Tove durch einige offene Fragen getrübt: Werden die Enkel gesund sein? Können die Kinder die Krankheit eventuell doch weiter vererben? „Natürlich sind das ist keine sehr erfreulichen Gedanken. Andererseits habe ich das Gefühl, dass es jetzt langsam reicht! Immerhin habe ja auch schon einen Onkel und einen Cousin mit einem Herzfehler in der Familie“, meint Ann-Tove optimistisch.

Engagement über den Tod hinaus

Als sich herausstellte, dass Eskil einen Herzfehler hat, wurde Ann-Tove Mitglied bei FFHB. Dabei hatte sie ihrem eigenen Herzfehler als Kind immer nur wenig Beachtung geschenkt. Sie kannte nicht einmal dessen richtig Bezeichnung. Sie wusste nur, dass er ungefährlich ist und nicht behandelt werden muss. „Ein Ultraschall im letzten Jahr zeigte dann, dass sich der Zustand meines Herzens auch nach drei Schwangerschaften nicht verändert hat. Insofern hat mir mein Herzfehler nie Schwierigkeiten gemacht“, betont sie. Bei FFHB ist Ann-Tove heute immer noch aktiv – obwohl keines ihrer drei Kinder einen Herzfehler hat: „Wenn ich zu den Treffen fahre ist das meine Art, Zeit mit Eskil zu verbringen.“

Autor(en): Marit Haugdahl
Letzte Aktualisierung: 2009-07-06